2/21/2011

Dantes Meisterwerk – meisterlich NICHT illustriert


DGK Paradies 042, XXIII. Gesang, 2010, 29 cm x 37 cm, Aquacryl auf c-print


Lebend´ge Funken stiegen aus den Fluten empor, allseits sich in die Blumen senkend, Rubinen ähnlich, die mit Gold umschlossen. Dann taucht, wie von Duft betäubt, sie wieder in jene wundersamen Wogen unter,...                                                                                                                                      
Übersetzung Philalethes



Umberto Eco hat in der „Nachschrift“ zu seinem Mittelalterroman „Der Name der Rose“ geschrieben, daß ein Roman  eine Maschine zur Erzeugung von Interpretationen sei.
Welche Auffassung von Rezeptionsästhetik hinter diesem kernigen Satz  steht, soll hier nicht weiter erörtert werden, aber: die Divina  Commedia ist einer der schlagendsten Beweisefür seine Stimmigkeit.
Kurz nach der Wende zum 14. Jahrhundert als „Commedia“ („Stück mit gutem Ausgang“, hat also nichts mit unserer Vorstellung eines  „lustigen“ Theaterstückes zu tun) verfaßt, erhob es wenige Jahrzehnte  später Giovanni Boccaccio zur „divina“, also göttlichen, weil  unübertrefflichen. Und das war sie dann auch. Kaum ein Werk ist  häufiger kommentiert, übersetzt, erklärt, interpretiert worden als  Dantes schon im Ausgang des Mittelalters die Moderne einläutende  „Göttliche Komödie“.
Und so wollen wir dann auch Wolfgang Tietzes Blätter zur Hölle, zum  Läuterungsberg und zum Paradies verstehen: als  Interpretationen. Es liegen eine ganze Reihe wunderbar illustrierter  Ausgaben vor, angefangen mit den herrlichen Zeichnungen von Sandro Botticelli bis hin zu den dramatischen Illustrationen von Gustave  Doré. Aber genau das ist es nicht, worum es Wolfgang Tietze mit seinen  Arbeiten geht. Nicht sollen einzelne Szenen möglichst plastisch und  „texttreu“ visualisiert werden, sondern die Blätter sind Ergebnis der Arbeit am und des Umganges mit dem Text in verschiedenen Übersetzungen 
und auch im Original. Übermalung einer gedruckten Vorlage mit Fläche  und Strich – das sind schon allein von der Materialität drei Ebenen,  die Tietze aber nicht palimpsestähnlich untereinander versteckt,  sondern miteinander zum Ausdruck bringt. Ausgeführt sind nicht die  Gestalten, sondern ihre Beziehungen. Über die Mehrschichtigkeit der  „Technik“ und die Beziehungen der Bildelemente hinaus ist des die  Farbigkeit, die jedes Blatt bestimmt – jedes hat „seine“ Farbe und  damit eine weitere, die fünfte Bestimmungsebene. Die Blätter zeichnen  nicht die Motive des Epos’ nach, sondern sind gebildet nach derselben  Tiefenstruktur, Schicht für Schicht – wie der Meister bei der  Erzeugung des Textes arbeiten und die „Ergebnisse“ gleichwertig neben den Text stellen.
Eben interpretieren, nicht illustrieren.
 

Dr. Ulrich Rose



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