3/26/2012

Louise Bourgeois - Passage dangereux - Einblicke






Maman steht dort und empfängt beständig Menschen, die sich in Pose
unter ihren zahlreichen Armen auf einem Foto verewigen lassen.


Groß und beinahe unübersehbar wirbt die Kunsthalle Hamburg noch bis zum 17. Juni 2012 im Außenbereich für eine Ausstellung Louise Bourgeois mit dem Titel Passage dangereux.
In den 90ern begegnete ich ihren Arbeiten erstmals auf einigen größeren deutschen Kunstmessen. Vermutlich der Höhepunkt, der nicht allzulang davor begonnenen, überfälligen Erfolgsgeschichte. Wurde sie doch bis ins hohe Alter zunächst nur an wenigen Orten wertgeschätzt, überfluteten sie in ihren letzten Lebensjahrzehnten weltweite Offerten des Marktes um so mehr. Ich fand es damals toll, dieses Geschehen aus der Distanz mitverfolgen zu können.


Nicht zu übersehen die Signaturen auf den riesigen Blättern von À l'infini.


Waren es zu erst die beiden großen Granitkugeln von ca. 1m Durchmesser mit dem Titel  Augen, die ich zunächst für Brüste hielt, traf ich später in Galerien immer mal unerwartet auf Zeichnungen oder hier und da sparsam gezeigte plastische Objekte. Jedes mal war mir, von weitem auch unangekündigt, sofort klar von wem wohl diese Arbeit sei. Woran kann man eine Arbeit von LB von weitem erkennen? Im einzelnen nichts Ungewöhnliches für ein Auge, das sein Leben lang gern schaut. Unausweichlich ging von diesen Dingen, die man sah etwas unverwechselbar nahezu suggestiv Verlangendes aus. Der Verstand suchte keine Erklärung. Man lieferte sich dem Erspürten aus und war gefangen in dem sinnlichen Gespinnst, das diese große Dame des 20 Jh. spann. Es gibt Künstler_innen, bei denen gerät, so scheint es, was auch immer sie nur berühren, mit wenigen Handgriffen und Entscheidungen in eine Welt exklusiver Sinnaufweckung. Und es gibt sie noch, die Magie in der Kunst!


Szene aus dem dort gezeigten Film. Arbeiten von L.B.


Mit recht hoher Erwartung besuchte ich nun diese Ausstellung. Freilich nicht gänzlich unvoreingenommen. Es gibt Einiges zu sehen, das wirklich nur fragmentarisch und also unzureichend dem gerecht werden kann, was diese Frau an Bedeutungsvollem für die Kunst geschaffen hat. Dafür wird es Ursachen geben, die ich nun nicht ergründen mag. Zusammengetragen aus zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen war es wohl unmöglich, eine noch breiter angelegte größer Show zu realisieren.
Das, was dort nobel installiert steht, hängt und liegt ist gewiss sehenswert!
Nur mäßig konnte der in einem Raum als Endlosprodukt laufende Film meine Erwartungslücke schließen. Ein sehr gut gemachter Film auch auf youtube.de, in übliche Zeitintervallen zerschnitten, zu sehen und abschließend im post anzuschauen.



Szene aus dem dort gezeigten Film. Arbeiten von LB


Vielmehr weckt dieser Fim noch eher das Bedürfnis nach einer doch bitte breiter und vielfältiger präsentierten Vorstellung des Werkes der LB, nach einer großen Retrospektive. Das ist diese Ausstellung nicht!
Nun es ist, wie es ist.
Immerhin sieht man einige Hauptwerke und die haben das Potential ihrem Werk, auch sparsam zusammen getragen, in Positionen gerecht zu werden. Natürlich sorgt die große über 9m hohe Spinne: Maman für prima Fotomotive im Außenbereich und lockt zum Eintritt in die spirituelle Welt von Madame LB. 




Aus der Radierungsserie À l'infini.



Die Radierungsserie À l'infini füllt einen Raum. Riesige Papierformate. Die Walzen der Radierpresse hätte ich gern gesehen, die da dem Drucker behilflich waren! Die Farbe Rot dominiert als Akzent und steht in ihrer Arbeit für Blut und Schmerz. Und ich erinnerte den Geruch von Blut, Geburt und Lebenssäften. 
Sehr schöne Blätter mit Unikatcharakter. Wenn ich richtig geschaut habe, waren das in kleiner Auflage verlegte Radierungen, die schwarz gedruckt, mit Deckweiß und lasierenden Rottönen übermalte wurden. 
Liebe, Geburt, Schmerz, Traum, Blutbahnen; davon spricht sie im erwähnten Film.


Aus der Radierungsserie À l'infini.



LB ist im traditionellen Sinne keine brillante Zeichnerin. Ihr Können wirkt durch infantil anmutende zarte Form suchende Lineamente, die nicht das Exakte, die Perfektion, das in akademischer Vollendung Gestaltete suchen. Eher ist es die formreduzierte, etwas ungelenk wirkende Handschrift einer Frau, der es immer wieder gelingt mit ihrer gleichnishaften, berührenden Bildsprache die Reise in die eigene Vita als Exkursionslabyrinth, in noch unbekannte aber schon mehrfach eingeschlagenen Gänge und Abgründe zu wagen. Es ist nicht das Abbild von Wahrnehmbarem und Allbekanntem das Feld ihrer Auseinandersetzung: therapeutisch, selbstheilend. Suche nach Wunden aus Kindheit und Jugend. Aus dem Jetzt. Die Kreatur bleibt schutzlos und verletzlich. Wunden im ICH werden von anderen neuen Verletzungen überwuchert. Aber es gibt Momente von betörender Schönheit und es gibt Hoffnung und es gibt Heilung. LB tastet sich unsicher, ängstlich, kraftvoll, zärtlich, ahnungslos und bewußt treibend durch diesen Dschungel ihrer seelischen Existenz. Und es entstehen Spuren dabei, die wir sehen auf Papier, Textilien, Fundstücken mit Gebrauchspatina, in Käfigen versammelt und also zur Betrachtung exponiert. Wir spüren eine Betroffenheit, weil wir in eine intime Begegnung mit LB geraten. Vielleicht von unerwarteter Intensität. Die Distanz zum Betrachter scheint aufgehoben. Die Begegnung ist unmittelbar und direkt. Keine ästhetischen Codierungen zum kollektiven Erraten von Bedeutungen. Traumbilder, die spröde und scheinbar unaufbereitet, glaubwürdig konserviert sind und die sich auf uns Betrachter übertragen. 
Wir haben zur Besichtigung ein Billet gelöst und nun sind wir hineingestolpert in das Dasein eines Voyeurs. 



Textile Arbeit hinter Glas gerahmt.


In weiteren kleinen nahezu intimen Ausstellungsräumen sieht der Besucher kabinettartig präsentiert textile, kleinformatige Arbeiten, die ihren Zeichnungen ebenbürdige Entsprechung sind. In handlicher Größe um- und zusammengenähte und applizierte Textilflächen. Auch hier finden sich zahlreiche eindringliche Bildformulierungen. Das gewählte Material begleitete sie ihr ganzes Leben. Immer wieder ist es Stoff, der Flächen und Raum ergreift. Ob plastische Köpfe, Figuren oder eben abstrahierte Flächen aus gesammelten Textilresten, hier ist nichts beliebig oder kunstgewerblich besonders attraktiv. Jede Arbeit ist stark durch Verdichtung und Reduktion auf das, was sein muß und nicht anders sein kann.
In dieser Ausstellung sind ausnahmslos, erfahren wir im Faltblatt, Arbeiten aus den letzten 15 Arbeitsjahren dieser 98 Jahre alt gewordenen Dame zu sehen. Zart, klein und gebrechlich sehen wir sie im Film. Mit Lust und wacher geistiger Kraft, mit der Bereitschaft Schmerz zu begegnen und mit genug Humor dieses Dasein zu erleben und Gestalt zu geben. Immer und immer wieder.



Textile Arbeit hinter Glas gerahmt.


Im großen Saal der Ausstellung steht ungewöhnlich groß und als ein Hauptwerk der Themengruppe Cells (Zellen) geltend die Arbeit Passage dangereux. Eine große  Zelle stellvertretend für die, die ich dort ergänzend erwartet hatte.




Passage dangereux

Der unvorbereitete Besucher findet in Passage dangereux einen quasi lebensgroßen begehbaren Drahtkäfig vor, der allerdings nicht zugänglich ist. Darin befinden sich sorgfältig zusammengestellte Fundstücke aus allerlei Zeiten und Orten, die von LB neu organisiert und nun mit gänzlich anderer sinnlich-assoziativer Bedeutung aufgeladen wurden. Kleine Szenen in Position gerückt mit Accessoires ergänzt, die sehr speziell den Eindruck verstärken. Ob nun die immer wieder auftauchenden Spiegel, Glaskugeln, knochenartigen Rudimente oder kleinste Flakons, überall ist das Maß der Inszenierung Mensch mit seinen Abgründen und in seiner Sinnlichkeit. Keine ästhetisierte Verklärung. Nein! Eine Bestandsaufnahme der Seelennöte und – lüste. Die ersten "Höllenkreise" sind durchschritten.




Passage dangereux. Detail.



Hier spürt der Betrachter dieses typische LB-Klima, dem man sich nur schwer entziehen kann, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Szenarien, die Unbehagliches suggerieren.


Passage dangereux. Detail.


Für Eilige leicht zu übersehen, steht auf einem kleinen in Augenhöhe gewähltem Platz in diesem Gehege, nahe dem neugierigen Auge ein Ensemble von Tieren. Ein kleiner Löwe, handgroß und ein gläsernes kopfloses, etwas größeres Pferd. Wie ich im Film erfuhr, ein persönliches Geschenk von Le Corbusier. Ein Parfumflakon im früheren Leben. Im neuen Kontext der LB nun zum "Sarkophag" einer toten Fliege geworden. LB weist diesen „Freitot“ der Fliege zu, die den Verlockungen des Duftes offensichtlich nicht widerstehen konnte, in seiner neuen Bedeutung ein Gleichnis für lustvolles Leben, Rausch, Benommenheit und Tod.




Ein kleines Ensemble. Die erwähnte Fliege liegt im Pferd.



Auch diese kleine Microgeschichte erfährt man im Film. Ich schaute mir daraufhin den Flakon etwas gründlicher an, soweit das ausgesperrt möglich war und tatsächlich bei genauem Hinsehen entdeckte ich das Opfer einer Duftorgie im gläsernen Pferd. Und dort wird diese tote Fliege vermutlich noch ewig für das von LB interpretierte Verlangen unerreichbar aufgebahrt liegen bleiben.
Im selben dort gezeigten Film sah ich bei einer Einstellung, die den großen Käfig zum Thema hatte, noch in einer Ecke eine vielleicht ca. 0,5m hohe Maman-Variante. Ist sie zwischenzeitlich abhanden gekommen? Wurde sie nachträglich von Madame noch zu Lebzeiten entfernt? Ich, einmal gesehen, vermisste das Tier nun im Gehege. Hat ja/hätte sehr gut in das arrangierte Konvolut von Passage dangereux gepasst, meine ich argusäugig.


Bild aus dem Film. Louise Bourgeois.


All diese Objekte wirken wohl sehr viel eindrucksvoller, wenn der Besucher einen Moment erwischt, in dem keine Schulklassen in Trauben versammelt den Hinweisgeber_innen an den Lippen hängen oder gut betuchte, kulturbeflissene Seniorentrupps den affektiert-gespreizten Bildbeschreibungen, die routinierte Museumsführer_innen aus sich herausschrauben, geduldig zu verstehen suchen.



Einführender Text im Foyer. Zum Lesen bitte anklicken.

Was kostet diese Hamburger-Kunsthallen-Reise in die Welt der Louise Bourgeois? Nun 12,- € sind kein Pappenstiel. Doch es gab den freundlichen Hinweis, man könne damit das ganze Haus in sich mit Eindrücken aufsaugen. Was sich allerdings als schier unlösbare Herausforderung herausstellt, wenn man die unermessliche Größe der Sammlung laufend und sehend erfassen möchte.







Dieser Versuchung kann man widerstehen, muß man aber nicht. Ein flotter abschließender Rundgang durch die meisten Räume der altehrwürdigen Kunsthalle endete mit einer Visite im Nachbargebäude (inklusive) 
„Müde Helden: Ferdinand Hodler Aleksandr Dejneka – Neo Rauch”  zusehen noch bis zum 13. Mai 2012. Freunde der Bildwelt eines Neo Rauch werden dort auf ihre Kosten kommen. Meine alte und gleichermaßen neue Entdeckung war dann jedoch dort eher A. Dejneka mit seiner Malerei. 


Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka

Böse Zungen könnten diese thematische-didaktische Ausstellung gern auch „N.Rauch and friends“ nennen. Dominat genug wird seine Arbeit dort gezeigt.
Ich behaupte, die toten Seelen von A. Dejneka und F. Hodler hatten keine Chance mit einem eingreifenden Veto auf diese Ausstellung Einfluß zu nehmen. Vermutlich wäre die Ausstellung nicht zustande gekommen. Ein eindeutiger Vorteil für den Kollegen N. Rauch.

Auf dem Weg zum Nachbargebäude noch eine unerwartete Begegnung mit dem Werk des 2010 verstorbenen großen Meisters der Zeichnung Paul Wunderlich. Hier sah ich nach Jahrzehnten Abstinenz plötzlich eine gelungene Auswahl von Lithographien desselben und staunte noch einmal über den graphischen Reichtum seiner bizarren köstlichen Zeichenkunst! Eine zeitlose Delikatesse!

Sorry für die schlechte Fotoqualität. Ohne Blitz mit einer "alten" Digitalkammera geknipst, sollten es nur hinweisende Dokumente werden. 


Einen sehr guten Eindruck von Louise Bourgeois und ihrem Werk kann man bekommen, wenn man sich den von mir erwähnten dokumentarischen Film, in der Kunsthalle gezeigt und im Internet in 6 Teile getrennt, auf youtube hier anschaut. Hier bitteschön Nr.: 1/6. 

















3/22/2012

INFERNO. CANTO XXXII – Laß mich deinen Namen tragen
















DGK, 2012, Laß mich deinen Namen tragen, 20 cm x 14 cm, Aquacryl, Tusche auf c-print,  
umseitig Textzeilen  mit Bleistift



"Omai", diss'io, "non vo' che più favelle,
malvagio traditor; ch'a la tua onta
io porterò di te vere novelle". 


"Va via", rispuose, "e ciò che tu vuoi conta;
ma non tacer, se tu di qua entro eschi,
di quel ch'ebbe or così la lingua pronta. 

El piange qui l'argento de' Franceschi:
"Io vidi", potrai dir, "quel da Duera
là dove i peccatori stanno freschi". 

Se fossi domandato "Altri chi v'era?",
tu hai dallato quel di Beccheria
di cui segò Fiorenza la gorgiera. 

Gianni de' Soldanier credo che sia
più là con Ganellone e Tebaldello,
ch'aprì Faenza quando si dormia". 

Noi eravam partiti già da ello,
ch'io vidi due ghiacciati in una buca,
sì che l'un capo a l'altro era cappello; 

e come 'l pan per fame si manduca,
così 'l sovran li denti a l'altro pose
là 've 'l cervel s'aggiugne con la nuca: 

non altrimenti Tidëo si rose
le tempie a Menalippo per disdegno,
che quei faceva il teschio e l'altre cose. 

"O tu che mostri per sì bestial segno
odio sovra colui che tu ti mangi,
dimmi 'l perché", diss'io, "per tal convegno, 

che se tu a ragion di lui ti piangi,
sappiendo chi voi siete e la sua pecca,
nel mondo suso ancora io te ne cangi,
se quella con ch'io parlo non si secca".
Dante Alighieri



O bruder ● sprach er ● den ich dir genauer
Bezeichne (und sein finger gab die lage)
War seiner sprache trefflichster bebauer.

In liebeslied und ritterlicher sage
Besiegt er alle. Lass die toren schwören
Dass ihn der Limosiner überrage!

Die wahrheit nicht ● geschrei nur kann sie stören.
Sie festen ihre meinung und sie sollten
Zuvor auf kunst und überlegung hören.

So hat Guitton den früheren gegolten.
Er hatte alle mund an mund zu lobern
Bis spätre wahre richter ihn gescholten ...

Doch konntest du das Vorrecht dir erobern
In jene ordenskirche einzutreten
Wo die gemeinde Christum hat zum Obern:

So magst du mir ein vaterunser beten ●
Des weitren braucht es nicht für unsre runde
Wo keine sünde mehr bedroht die Steten. –

Vielleicht um dann dem zweiten von dem bunde
Den raum zu lassen ● schwand er durch die helle
Wie fische durch das wasser fliehn zum grunde.

Damit sich der gezeigte mir geselle
Begann ich: Lass mich deinen namen tragen
In meinem sinn an liebevoller stelle!

Und er begann freigebig dann zu sagen:
Zoozeer verheugt my 't hoflyke in Uw vraag
Dat weigrend ik noch wil noch kan U plagen ●

Ik ben Arnaut die ween en zingend klaag.
Ik die aldoor verleden waan betracht
En vreugdvol hoop dat straks myn morgen daag'

Doch U bezweer ik door die zelve macht
Die tot den hoogsten trede U stygen doet:
Gedenk te rechter uur my en myn klacht! –

Dann barg er sich in reinigender glut.

Stefan George









3/16/2012

INFERNO. CANTO XXXIV – Höllenpein








DGK, 2012, Höllenpein, 14 cm x 20 cm, Aquacryl, Tusche auf c-print,  umseitig Textzeilen  mit Bleistift


Dieses  Blatt ist nun nicht mehr erhältlich. Auf Wiedersehen zur nächsten Auktion vom 23.03. bis zum 25.03.2012 auf diesem Blog.


O! was für ein großes Wunder schien es nicht für meine Augen, als sie drey Gesichter an seinem Kopfe sahen! Das vordere Gesicht war feuerroth, und die andern beyden Seitengesichter, die diesem mitten über jeder Achsel angefugt waren, und bis oben an den Kamm hinauf reichten, sahen, das zur Rechten bleichgelb, und das zur Linken wie jene Gesichter aus, die von der Gegend herkommen, wo der Nil in Egyptens Tiefen hinabfließet. 

Unter einem jeden giengen zween große Flügel hervor, so wie sie für einen so ungeheuren Cherub sie schickten, und so groß ich noch nie Schiffssegel auf dem Meere gesehen habe. Sie hatten keine gewöhnlichen Federn, sondern waren von der Art, wie das Gefieder der Fledermäuse. 
Und mit solchen flatterte er blos, doch so, daß dadurch drey Winde ursprünglich von ihm, dem Lucifer, sich erhoben, von denen der ganze Cocyt überfelsenhart zufror. 
Aus sechs Augen weinte er, und sein dreyfaches Kinn triefte von abscheulichen Thränen und blutigem Geifer. Ein jeder Rachen zermalmte mit seinen Hauern, wie mit einer Hanfbreche, einen Sünder, daß also drey Verdammte zugleich von ihm so schmerzlich zugerichtet wurden. 
Das schreckliche Zubeissen des vordern Rachens auf den ersten Sünder schien wie nichts gegen die Grausamkeit mit der die Zähne über ihn herstreiften, so, daß zuweilen der ganze Rücken völlig enthäutet blieb. Dieser elende Schatten, sagte hier mein Lehrer, der mit dem Kopfe in dem Rachen steckt, und mit den Beinen außer demselben einen solchen Jammer treibt, und eine so vorzügliche Strafe leidet, ist Judas Ischarioth. Von den andern beiden, die mit den Köpfen unterwärts hängen, ist der, welcher aus der schwarzen Schnauze herabhängt, Brutus. 
Siehe nur, wie er sich nun zerdrehet, und nicht den mindesten Laut von sich giebt. Und der dritte, der so stark von Gliedern scheint, ist Caßius. Allein wie ich sehe, so steigt die Nacht schon wieder herauf, und der Zeitpunkt unsrer unverzüglichen Abreise aus der Hölle ist nun endlich erschienen. Denn nunmehr haben wir alles gesehen.
Lebrecht von Bachenschwanz, 
Prosaübertragung nach dem Original  "Die Göttliche Komödie" von Dante Alighieri







3/10/2012

INFERNO. CANTO XXXII – Dis, Ort der Schmerzen







DGK, 2012, Dis, Ort der Schmerzen21 cm x 14 cm, Aquacryl, 
Tusche auf c-print,  umseitig Textzeilen  mit Bleistift


Dieses  Blatt ist nun nicht mehr erhältlich. Auf Wiedersehen zur nächsten Auktion vom 16.03. bis zum 18.03.2012 auf diesem Blog.


...Oh sovra tutte mal creata plebe
che stai nel loco onde parlare è duro,
mei foste state qui pecore o zebe!...
Dante Alighieri

...O du, zum Unheil nur geschaffner, Pöbel,
Der an dem Ort weilt, den ich ungern schildre,
Euch wäre besser, wärt' ihr Schaf' und Ziegen!...
Karl Witte










3/03/2012

Ein ästhetisches Flirren besetzt Wände: Gert & Uwe Tobias im Kunstverein Hamburg - 28.02.bis 18.11.2012








Im oberen Eingangsbereich
der Ausstellung




Obwohl eine gewisse Voreingenommenheit mich bisher davon abhielt, die hier und da angekündigte Ausstellung der Kölner Brüder Gert & Uwe Tobias zu besuchen, stand ich dann doch heute mittendrin. Einen Moment noch zögerte ich kurz vorher. 3 € Eintritt hätten auch gereicht, um einen köstlichen Milchkaffee anderenorts zu schlürfen. Nun war diese Investition getätigt und erstes widerständiges Hadern galt es zu überwinden. Nach vorne schauen, das war jetzt die frei gewählte Alternative.

Bis zur Decke, und das in großen wundervollen Räumen, wuchern außerordentlich dekorativ und erzählerisch die Arbeiten der beiden Brüder. Sie wuchern in kleinen und in gigantischen Formaten auf Papier und Leinwand. Unschwer zu erkennen und zu erspüren Bezüge zur urheimatlichen Siebenbürgischen Volkskunst.


Detail einer Arbeit der Brüder
in einer Vitrine 

Das allein würde mich kaum stören, sehe ich mich doch als üblichen Bilderverschlinger, der nahezu alles was in seiner Anmutung glaubhaft, gern auch mitteilsam seine Auglinsen passiert im eigenen schier unendlichen Bilderhirnspeicher platziert oder irgendwie da auflöst. Ich habe keine Vorbehalte gegenüber Folklore, solange sie nicht sinnentleert und als Phrase ihrer selbst in Dauerkonjunktur bräsig ins Touristengesicht klotzt. Doch reicht hier allein Absicht und ästhetischer Geschmack?
Die Brüder Tobias  haben hier versucht, so meine ich, diesen Quell zu ihrem sinnlich-formalen bildnerischen "Steinbruch" zu deklarieren. Dieser Eindruck lies mich nicht los. Freilich in mondän zelebrierter, formal sehr ästhetisch erscheinend, so verlockender und oppulent fabulierender Zeitgeistmanier.
Ist das gar schon manieriert?
Dies geschieht hier dazu in Dimensionen, die bei aller Nörgelei meinen Respekt verdienen. Gigantische Holzschnitte in kleinstmöglicher Auflage, las ich dort irgendwo im Begleittext. Handwerklich sehr aufwändig und solide gemacht. Das ist der Moment, der für eine aufrichtige kurze Verneigung taugt.
Als Pedant dazu zu erwähnen wären die zahlreichen auch kleineren Arbeiten auf Papier dominiert von collageartigen Techniken. Im Begleittext lese ich vorsichtige Vergleiche mit Max Ernst und Hannah Höch. Oha! Da lehnt sich aber jemand verdammt weit aus dem Fenster.
Mein Kopp indes hatte seine Not, dem modernistischen ermüdenden Geflimmer und die Transformationsbemühungen vorgeblicher, vorbildlicher Siebenbürgischer Volkskunst zu ergründen oder gar zu verinnerlichen. Sie blieb also draußen, die nobel und weiträumig präsentierte gigantische bunte Bastelarbeit.
Wie dankbar war ich, als sich unerwartet im Hintergrund des fidelen Szenarios ein komplett bildfreier schmaler Raum auftat. Ein ausstellungstechnisch bedingtes Versehen diese Oase der Leere?


Unerwartete Stille im Rücken
der collagierten Bilderflut

Da war sie wieder die Sperre gespeist aus der Lust, mich nicht jedem schrillen originellem Bildspektakel zu öffnen. Ob nun Kunst oder nicht, ich bin gottlob nur ein Bilderangucker mit gut gepflegten Verweigerungsstrategien und dehnungsfähigen Vorurteilen. Die haben allerdings hier nach instinktiver Vorwarnung nur einen viertelstündigen Aufenthalt zugelassen. Zu bunt, zu viel und doch zu originell und so gefällig? Ist das tatsächlich so schon surreal? Ein Adjektiv das Suggestion verspricht, das mich in der Geschichte der Malerei einläd zu Reisen in das ICH, in eine Welt die nicht zu erklären ist, zum Kittgebirge, das die Welt im Innersten zusammenhält. Mir zumindest ist es nicht gelungen, einen Eingang zu finden in diese Bildwelt, die doch so zahlreich Offerten macht.

Zum Neutralisieren erhielten meine so geprüften Augen beim Verlassen dieser traditionsreichen Stätte einmal satt Blau. Der Hamburger Himmel belohnte nun meine neugierige Ausschau im Bildnachwuchs mit monochromer erholsamer Großzügigkeit.
OK ein ein paar Wolkengesprengsel etwas unsauber ausgeschnitten und hier und da zu viel, hier und da vielleicht gar gänzlich überflüssig…


Mehr Informationen zum legendären Hamburger Kunstverein und Abbildungen repäsentativ zur aktuellen von mir besuchten Ausstellung finden sie hier: http://www.kunstverein.de/

Einige Meter weiter geradelt, dann Hinweise auf das Werk einer große Dame der Kunst. Madame Louise Bourgeois in Hamburg. Das jedoch braucht einen anderen Tag.
Dieser Tag, wird mit der Begegnung einer Spinne beginnen, die einen Platz unweit der Alster dominiert. Auf diese ART Okkupation meiner Sinne freue ich mich schon. 


Kaum jemand kann sich diesem Gespinnst entziehen. Wie großartig!







3/01/2012

INFERNO. Canto XXXIV - Nun schlug ich meine Augen auf







DGK, 2012, Nun schlug ich meine Augen auf,  14 cm x 20 cm, Aquacryl, 
Tusche auf c-print,  umseitig Textzeilen  mit Bleistift



Dieses  Blatt ist nun nicht mehr erhältlich. Auf Wiedersehen zur nächsten Auktion vom 9.03. bis zum11.03.2012 auf diesem Blog.


...Oh quanto parve a me gran maraviglia
quand'io vidi tre facce a la sua testa!
L'una dinanzi, e quella era vermiglia; 
l'altr'eran due, che s'aggiugnieno a questa
sovresso 'l mezzo di ciascuna spalla,
e sé giugnieno al loco de la cresta: 
e la destra parea tra bianca e gialla;
la sinistra a vedere era tal, quali
vegnon di là onde 'l Nilo s'avvalla. 
Sotto ciascuna uscivan due grand'ali,
quanto si convenia a tanto uccello:
vele di mar non vid'io mai cotali. 
Non avean penne, ma di vispistrello
era lor modo; e quelle svolazzava,
sì che tre venti si movean da ello: 
quindi Cocito tutto s'aggelava.
Con sei occhi piangëa, e per tre menti
gocciava 'l pianto e sanguinosa bava. 
Da ogne bocca dirompea co' denti
un peccatore, a guisa di maciulla,
sì che tre ne facea così dolenti. 
A quel dinanzi il mordere era nulla
verso 'l graffiar, che talvolta la schiena
rimanea de la pelle tutta brulla. 
"Quell'anima là sù c' ha maggior pena",
disse 'l maestro, "è Giuda Scarïotto,
che 'l capo ha dentro e fuor le gambe mena. 
De li altri due c' hanno il capo di sotto,
quel che pende dal nero ceffo è Bruto:
vedi come si storce, e non fa motto!; 
e l'altro è Cassio, che par sì membruto.
Ma la notte risurge, e oramai
è da partir, ché tutto avem veduto". 
Com'a lui piacque, il collo li avvinghiai;
ed el prese di tempo e loco poste,
e quando l'ali fuoro aperte assai, 
appigliò sé a le vellute coste;
di vello in vello giù discese poscia
tra 'l folto pelo e le gelate croste. 
Quando noi fummo là dove la coscia
si volge, a punto in sul grosso de l'anche,
lo duca, con fatica e con angoscia, 
volse la testa ov'elli avea le zanche,
e aggrappossi al pel com'om che sale,
sì che 'n inferno i' credea tornar anche...
Dante Alighieri





...O! was für ein großes Wunder schien es nicht für meine Augen, als sie drey Gesichter an seinem Kopfe sahen! Das vordere Gesicht war feuerroth, und die andern beyden Seitengesichter, die diesem mitten über jeder Achsel angefugt waren, und bis oben an den Kamm hinauf reichten, sahen, das zur Rechten bleichgelb, und das zur Linken wie jene Gesichter aus, die von der Gegend herkommen, wo der Nil in Egyptens Tiefen hinabfließet. Unter einem jeden giengen zween große Flügel hervor, so wie sie für einen so ungeheuren Cherub sie schickten, und so groß ich noch nie Schiffssegel auf dem Meere gesehen habe. Sie hatten keine gewöhnlichen Federn, sondern waren von der Art, wie das Gefieder der Fledermäuse. Und mit solchen flatterte er blos, doch so, daß dadurch drey Winde ursprünglich von ihm, dem Lucifer, sich erhoben, von denen der ganze Cocyt überfelsenhart zufror. Aus sechs Augen weinte er, und sein dreyfaches Kinn triefte von abscheulichen Thränen und blutigem Geifer. Ein jeder Rachen zermalmte mit seinen Hauern, wie mit einer Hanfbreche, einen Sünder, daß also drey Verdammte zugleich von ihm so schmerzlich zugerichtet wurden. Das schreckliche Zubeissen des vordern Rachens auf den ersten Sünder schien wie nichts gegen die Grausamkeit mit der die Zähne über ihn herstreiften, so, daß zuweilen der ganze Rücken völlig enthäutet blieb. Dieser elende Schatten, sagte hier mein Lehrer, der mit dem Kopfe in dem Rachen steckt, und mit den Beinen außer demselben einen solchen Jammer treibt, und eine so vorzügliche Strafe leidet, ist Judas Ischarioth. Von den andern beiden, die mit den Köpfen unterwärts hängen, ist der, welcher aus der schwarzen Schnauze herabhängt, Brutus. Siehe nur, wie er sich nun zerdrehet, und nicht den mindesten Laut von sich giebt. Und der dritte, der so stark von Gliedern scheint, ist Caßius. Allein wie ich sehe, so steigt die Nacht schon wieder herauf, und der Zeitpunkt unsrer unverzüglichen Abreise aus der Hölle ist nun endlich erschienen. Denn nunmehr haben wir alles gesehen....
Lebrecht Bachenschwanz