4/05/2012

Mein Gleitflug - Bilderstrom in der Kunsthalle HH

Einmal im Imperium Bildender Kunst im Hause der Kunsthalle angelangt, eile ich straffen Schrittes durch beinahe alle Säle. Kaum Besucher. Ok. Draußen feiert die Natur die Wiederauferstehung der verloren geglaubten Sonne. Der Mensch streckt sein Gesicht in die ersten Strahlen, als könne er in dieser erstarrten Geste außerterrestrische Botschaften erwarten, wenn er nur ausdauernd genug  in dieser Geste verharrt.
Ähnlich geht es den Bildern im Hause. Alles wartet, so scheint es.
Mein flotter Gang wirbelt Staub auf. Wache Wachleute blicken verstört, als hätten sie etwas verpasst. Nein alle Bilder hängen noch an ihrem Platze. Ich will ja nur noch mal schnell nach dem Besuch bei Madame Louise Joséphine Bourgeois meinen Bilderspeicher im Hirn neutralisieren, bevor ich eine Visite bei den "müden Helden" in der Galerie der Gegenwart im zugehörigen Nachbarhaus mache. 
Müde Helden: Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka – Neo Rauch / 17. Februar bis 13. Mai 2012 in der Kunsthalle Hamburg

Immer wieder muß ich auf „Stopp“ und „Rückwärts“ in meinem imaginären Durchgangsgetriebe schalten, weil selbst aus dem Augenwinkel betrachtet, das eine oder andere Bilddetail nach näherer Betrachtung ruft, ja brüllt. Ich lasse mich darauf ein.
Magisch angezogen; Stopp! Ein sehr schönes Vanitas-Bild von Barthel Beham. Ich drücke auf  den Knopf meiner Telefonkamera. Klick ein Detail dieses mich ergreifenden Bildes ist nun ohne Blitz, bestimmt leicht verschwommen, auf meiner Micro-Speicherkarte. Winzig klein verpixelt nunmehr in einem anderen „Aggregatzustand“?








Flugs geht es weiter. Von weitem mach ich die nächste Landung klar. Lucas Cranach, Caritas. Wieder klick, diesmal mit Personal im Rücken. Ich spüre wie enttäuscht der Kunsthüter ist, weil er mich nicht beim Blitzen erwischt hat. Ich will doch nur kleine Souvenirs, die mir später helfen, diesen Flug zu rekonstruieren.







Ich bin heute nur eine Fliege, die, ähnlich der von LB in einem Flakon, genussvoll durch die Räume surrt.
Ich bin erfreut, wie prima das noch funktioniert;  ehrfurchtslos durch die Hallen zu fliegen und doch dabei von Details der Weltkunst ausgebremst zu werden.
Etwas gruselige Anmutung plötzlich hier bei François Boucher, „Der Angler“. Die zwei Kinder fallen mir auf und ins Auge.








Weiter geht ´s. Berauschend und quasi impressionistisch Henri Fantin-Latour, nach dem eine Rosensorte genannt in meinem Garten steht, mit dem Bilde „Rheingold“. Surreale Tendenzen?






Unerwartet ruft nun ein Apfel in seiner grandiosen Malkultur. Claude Oscar Monet, Birnen und Trauben. Ich habe mich für den Außenseiter auf diesem Bild entschieden. Ein scheinbar unmaßgeblicher kleiner Bildausschnitt. Aber WOUH!










Abschließend nochmal Kindergesichter. Jetzt von Hans Thoma. Ich durchschwebe die Romantikabteilung. Diesmal weniger rokokoverzückte Darstellungen. Doch sind das tatsächlich Menschenkinder?



  


Letzter Eindruck vor dem Szenenwechsel:  Alberto Giacometti! In der Phase jugendlicher Selbstfindung uns Kunststudenten damals eine Ikone der Moderne, jetzt ein Teil  abendländischer Kunstgeschichtskonserve. Mir wird plötzlich deutlich, dass Kunstgeschichte, wie auch die eigene Zeit selbst, weiterläuft. So unvermittelt und zugleich erschreckend hatte ich Vergänglichkeit lang nicht wahrgenommem. Auf dem hier gezeigtem Abbild eine die Dramatik dieser Erkenntnis unterstreichende von mir vorgenommene Verfremdung durch Negativumwandlung. Ich denke A.G. würde es verzeihen. Das Original dieser lebensgroßen Figur steht zur Besichtigung in einer etwas separierten Umgebung, die Arbeiten der Neuzeit im Hause präsentiert.   







Durch ´s  Haus gefegt durchlaufe ich den unterirdischen Gang zum Nachbargebäude neben der alten Kunsthalle. Noch benommen von der Begegnung mit der großen LB und dem eiligen Gleitflug durch Jahrhunderte europäischer Kunstgeschichte erwartet mich nun per pedes ambitionierte Aufklärung bei: "Müde Helden".





Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka. Füße. 



Ich gebe zu, ich bin nicht unvoreingenommen.
Leise hört man in Steh- und Sitzgruppen die eine oder andere Frage. Mal vorsichtig unsicher, mal aggressiv ablehnend. Noch immer über Jahrzehnte normativ: Was will das Bild uns sagen?
Warum gibt es eigentlich keine sprechenden „Kunst“-Postkarten in Museumsshops, die diesen oft doch recht albernen oder zumindest gelegentlich anmaßenden Job machen könnten? Kunstaufklärung to go! In der Kunsthalle habe ich mindestens drei solche Läden entdeckt.





Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka. Ein Hintern.



Möglicherweise mache ich jetzt einen pfiffigen BWL-Studenten mit dieser hier eben offerierten Gratis-Geschäftsidee sehr vermögend? Ein sprechendes sich selbsterklärendes Stillleben auf einer „Kunst“-Postkarte. Nun gut. Ich gebe zu, es gibt auch liebenswertere Versuche mit und über Bilder zu sprechen. Noch tönen sie mir leise im Ohr die Fragen. Abschlussfragen, Alternativfragen, Angriffsfragen, Antwortfragen, Gegenfragen, Initialfragen, Kontrollfragen, Meinungsfragen, Monetärfragen, Motivfragen, Motivationsfragen, Nutzwertfragen, Referenzfragen, rhetorische Fragen, skalierende Fragen, skandierte Fragen, Stimulierungsfragen, Suggestivfragen, verdeckte Fragen, Wunderfragen und Zielfragen. Zum Beispiel nach dem Beginn des Rundgangs.





Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka. Ein Fuß.


Vorweg, auch hier halte ich mich nicht allzu lange auf. Ein respektabler Besucherandrang.
Es ist nicht meine „Frequenz“, die möglicherweise von den Bildern N. Rauch ´s ausgehend mich erreichen könnte. Ferdinand Hodler und Aleksandr Dejneka hätten es da wohl leichter, würde ich mich ihrem Werk jetzt nur mehr öffnen können. Ich habe Hodler in meiner Jugend gemocht. In der Zeit als ich den Dichter Hölderlin, ohne ihn recht zu verstehen für mich entdeckte. A. Dejneka war in dieser Phase jugendlicher Orientierung ein Meilenstein sozialistischer Kunst in meiner Weltsicht. Vielleicht hier und da ein Schuß zuviel Agitprop-Kunst, aber es war ja auch eine radikale Umbruchzeit diese frühe Sowjetzeit in Russland. Ähnlich vielleicht wie die, die nun wieder global zu erwarten ist?  In den Bildern, in denen er sich als „Maler“ verliert, ist er am eindruckvollsten und erreicht mich als Betrachter nachhaltiger.

N. Rauch hingegen, den ein kleinerer Teil des ihm im Allgemeinen recht wohl gesonnenen Feuilletons gern als Hans Makart der Jetztzeit bezeichnet, hat es schwer bei mir mit seinem Bilder-Frachtgut. Wenn ich diese o.g. Kritikerbewertung  bisher auch für eine leichte rethorische Übertreibung hielt, bin ich nun verunsichert und geneigt diesem Urteil vorbehaltlos zuzustimmen.
Im dort gezeigten Film über und mit ihm fühle ich mich provoziert, hin und wieder zu fluchen und die Augen zu verdrehen, bis ich meinem Drang nachgebe, den Raum „aufgeklärt“ zu verlassen, indem mir überproportional, wie auch in der gesamten Ausstellung, der Gefeierte zu Worte und zur Geltung kommt. Doch das ist ja, wie ich erst später begreifen werde, Sinn der Übung. Einen Bindestrich hatte ich flüchtig übersehen!

Ich erinnere mich, als ich ihn damals als Kommilitone an der Leipziger HGB in seinem Hochschulatelier besuchte, an einen eher scheuen Bildgeschichtenmaler im Kanon seines Lehrers Arno Rink. Damals als Student erschien er mir als Person und Maler auf der Suche, in seiner Bildwelt überzeugender und glaubwürdiger zu sein. Auch wenn ich schon damals keinen Zugang zu seiner bildwerdenden Auffassung von Malerei fand. Nun das ist, wie ich gerade feststelle, gut 30 Jahre her.


Der Kunstmarkt hat ihn zwischenzeitlich beherzt in die Arme genommen. Das hinterlässt Spuren im Maler und in seiner Arbeit. Doch fiele mir für ihn, falls er mich um Rat ersuchte, auch keine hilfreiche Alternative ein. Das wäre auch eher der Job des Gottes der Malerei Chronos.
Wie man die Sache auch immer selbst bewerten mag, zumindest verdient auch er meinen wertschätzenden Respekt für seinen Fleiß und seine Art sich dem Martyrium Malerei zu stellen. Die Malerei ist halt doch ein sehr, sehr subjektives Geschäft.
Nach diesem Rundgang träume ich von einer großen Retrospektive von/für Aleksandr Dejneka, die vermutlich wohl momentan nirgends auf dem Zettel steht, setze mich auf mein Fahrrad und fahre …in die Sonne.  




Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka. Eine Radlerin. 








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