3/26/2012

Louise Bourgeois - Passage dangereux - Einblicke






Maman steht dort und empfängt beständig Menschen, die sich in Pose
unter ihren zahlreichen Armen auf einem Foto verewigen lassen.


Groß und beinahe unübersehbar wirbt die Kunsthalle Hamburg noch bis zum 17. Juni 2012 im Außenbereich für eine Ausstellung Louise Bourgeois mit dem Titel Passage dangereux.
In den 90ern begegnete ich ihren Arbeiten erstmals auf einigen größeren deutschen Kunstmessen. Vermutlich der Höhepunkt, der nicht allzulang davor begonnenen, überfälligen Erfolgsgeschichte. Wurde sie doch bis ins hohe Alter zunächst nur an wenigen Orten wertgeschätzt, überfluteten sie in ihren letzten Lebensjahrzehnten weltweite Offerten des Marktes um so mehr. Ich fand es damals toll, dieses Geschehen aus der Distanz mitverfolgen zu können.


Nicht zu übersehen die Signaturen auf den riesigen Blättern von À l'infini.


Waren es zu erst die beiden großen Granitkugeln von ca. 1m Durchmesser mit dem Titel  Augen, die ich zunächst für Brüste hielt, traf ich später in Galerien immer mal unerwartet auf Zeichnungen oder hier und da sparsam gezeigte plastische Objekte. Jedes mal war mir, von weitem auch unangekündigt, sofort klar von wem wohl diese Arbeit sei. Woran kann man eine Arbeit von LB von weitem erkennen? Im einzelnen nichts Ungewöhnliches für ein Auge, das sein Leben lang gern schaut. Unausweichlich ging von diesen Dingen, die man sah etwas unverwechselbar nahezu suggestiv Verlangendes aus. Der Verstand suchte keine Erklärung. Man lieferte sich dem Erspürten aus und war gefangen in dem sinnlichen Gespinnst, das diese große Dame des 20 Jh. spann. Es gibt Künstler_innen, bei denen gerät, so scheint es, was auch immer sie nur berühren, mit wenigen Handgriffen und Entscheidungen in eine Welt exklusiver Sinnaufweckung. Und es gibt sie noch, die Magie in der Kunst!


Szene aus dem dort gezeigten Film. Arbeiten von L.B.


Mit recht hoher Erwartung besuchte ich nun diese Ausstellung. Freilich nicht gänzlich unvoreingenommen. Es gibt Einiges zu sehen, das wirklich nur fragmentarisch und also unzureichend dem gerecht werden kann, was diese Frau an Bedeutungsvollem für die Kunst geschaffen hat. Dafür wird es Ursachen geben, die ich nun nicht ergründen mag. Zusammengetragen aus zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen war es wohl unmöglich, eine noch breiter angelegte größer Show zu realisieren.
Das, was dort nobel installiert steht, hängt und liegt ist gewiss sehenswert!
Nur mäßig konnte der in einem Raum als Endlosprodukt laufende Film meine Erwartungslücke schließen. Ein sehr gut gemachter Film auch auf youtube.de, in übliche Zeitintervallen zerschnitten, zu sehen und abschließend im post anzuschauen.



Szene aus dem dort gezeigten Film. Arbeiten von LB


Vielmehr weckt dieser Fim noch eher das Bedürfnis nach einer doch bitte breiter und vielfältiger präsentierten Vorstellung des Werkes der LB, nach einer großen Retrospektive. Das ist diese Ausstellung nicht!
Nun es ist, wie es ist.
Immerhin sieht man einige Hauptwerke und die haben das Potential ihrem Werk, auch sparsam zusammen getragen, in Positionen gerecht zu werden. Natürlich sorgt die große über 9m hohe Spinne: Maman für prima Fotomotive im Außenbereich und lockt zum Eintritt in die spirituelle Welt von Madame LB. 




Aus der Radierungsserie À l'infini.



Die Radierungsserie À l'infini füllt einen Raum. Riesige Papierformate. Die Walzen der Radierpresse hätte ich gern gesehen, die da dem Drucker behilflich waren! Die Farbe Rot dominiert als Akzent und steht in ihrer Arbeit für Blut und Schmerz. Und ich erinnerte den Geruch von Blut, Geburt und Lebenssäften. 
Sehr schöne Blätter mit Unikatcharakter. Wenn ich richtig geschaut habe, waren das in kleiner Auflage verlegte Radierungen, die schwarz gedruckt, mit Deckweiß und lasierenden Rottönen übermalte wurden. 
Liebe, Geburt, Schmerz, Traum, Blutbahnen; davon spricht sie im erwähnten Film.


Aus der Radierungsserie À l'infini.



LB ist im traditionellen Sinne keine brillante Zeichnerin. Ihr Können wirkt durch infantil anmutende zarte Form suchende Lineamente, die nicht das Exakte, die Perfektion, das in akademischer Vollendung Gestaltete suchen. Eher ist es die formreduzierte, etwas ungelenk wirkende Handschrift einer Frau, der es immer wieder gelingt mit ihrer gleichnishaften, berührenden Bildsprache die Reise in die eigene Vita als Exkursionslabyrinth, in noch unbekannte aber schon mehrfach eingeschlagenen Gänge und Abgründe zu wagen. Es ist nicht das Abbild von Wahrnehmbarem und Allbekanntem das Feld ihrer Auseinandersetzung: therapeutisch, selbstheilend. Suche nach Wunden aus Kindheit und Jugend. Aus dem Jetzt. Die Kreatur bleibt schutzlos und verletzlich. Wunden im ICH werden von anderen neuen Verletzungen überwuchert. Aber es gibt Momente von betörender Schönheit und es gibt Hoffnung und es gibt Heilung. LB tastet sich unsicher, ängstlich, kraftvoll, zärtlich, ahnungslos und bewußt treibend durch diesen Dschungel ihrer seelischen Existenz. Und es entstehen Spuren dabei, die wir sehen auf Papier, Textilien, Fundstücken mit Gebrauchspatina, in Käfigen versammelt und also zur Betrachtung exponiert. Wir spüren eine Betroffenheit, weil wir in eine intime Begegnung mit LB geraten. Vielleicht von unerwarteter Intensität. Die Distanz zum Betrachter scheint aufgehoben. Die Begegnung ist unmittelbar und direkt. Keine ästhetischen Codierungen zum kollektiven Erraten von Bedeutungen. Traumbilder, die spröde und scheinbar unaufbereitet, glaubwürdig konserviert sind und die sich auf uns Betrachter übertragen. 
Wir haben zur Besichtigung ein Billet gelöst und nun sind wir hineingestolpert in das Dasein eines Voyeurs. 



Textile Arbeit hinter Glas gerahmt.


In weiteren kleinen nahezu intimen Ausstellungsräumen sieht der Besucher kabinettartig präsentiert textile, kleinformatige Arbeiten, die ihren Zeichnungen ebenbürdige Entsprechung sind. In handlicher Größe um- und zusammengenähte und applizierte Textilflächen. Auch hier finden sich zahlreiche eindringliche Bildformulierungen. Das gewählte Material begleitete sie ihr ganzes Leben. Immer wieder ist es Stoff, der Flächen und Raum ergreift. Ob plastische Köpfe, Figuren oder eben abstrahierte Flächen aus gesammelten Textilresten, hier ist nichts beliebig oder kunstgewerblich besonders attraktiv. Jede Arbeit ist stark durch Verdichtung und Reduktion auf das, was sein muß und nicht anders sein kann.
In dieser Ausstellung sind ausnahmslos, erfahren wir im Faltblatt, Arbeiten aus den letzten 15 Arbeitsjahren dieser 98 Jahre alt gewordenen Dame zu sehen. Zart, klein und gebrechlich sehen wir sie im Film. Mit Lust und wacher geistiger Kraft, mit der Bereitschaft Schmerz zu begegnen und mit genug Humor dieses Dasein zu erleben und Gestalt zu geben. Immer und immer wieder.



Textile Arbeit hinter Glas gerahmt.


Im großen Saal der Ausstellung steht ungewöhnlich groß und als ein Hauptwerk der Themengruppe Cells (Zellen) geltend die Arbeit Passage dangereux. Eine große  Zelle stellvertretend für die, die ich dort ergänzend erwartet hatte.




Passage dangereux

Der unvorbereitete Besucher findet in Passage dangereux einen quasi lebensgroßen begehbaren Drahtkäfig vor, der allerdings nicht zugänglich ist. Darin befinden sich sorgfältig zusammengestellte Fundstücke aus allerlei Zeiten und Orten, die von LB neu organisiert und nun mit gänzlich anderer sinnlich-assoziativer Bedeutung aufgeladen wurden. Kleine Szenen in Position gerückt mit Accessoires ergänzt, die sehr speziell den Eindruck verstärken. Ob nun die immer wieder auftauchenden Spiegel, Glaskugeln, knochenartigen Rudimente oder kleinste Flakons, überall ist das Maß der Inszenierung Mensch mit seinen Abgründen und in seiner Sinnlichkeit. Keine ästhetisierte Verklärung. Nein! Eine Bestandsaufnahme der Seelennöte und – lüste. Die ersten "Höllenkreise" sind durchschritten.




Passage dangereux. Detail.



Hier spürt der Betrachter dieses typische LB-Klima, dem man sich nur schwer entziehen kann, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Szenarien, die Unbehagliches suggerieren.


Passage dangereux. Detail.


Für Eilige leicht zu übersehen, steht auf einem kleinen in Augenhöhe gewähltem Platz in diesem Gehege, nahe dem neugierigen Auge ein Ensemble von Tieren. Ein kleiner Löwe, handgroß und ein gläsernes kopfloses, etwas größeres Pferd. Wie ich im Film erfuhr, ein persönliches Geschenk von Le Corbusier. Ein Parfumflakon im früheren Leben. Im neuen Kontext der LB nun zum "Sarkophag" einer toten Fliege geworden. LB weist diesen „Freitot“ der Fliege zu, die den Verlockungen des Duftes offensichtlich nicht widerstehen konnte, in seiner neuen Bedeutung ein Gleichnis für lustvolles Leben, Rausch, Benommenheit und Tod.




Ein kleines Ensemble. Die erwähnte Fliege liegt im Pferd.



Auch diese kleine Microgeschichte erfährt man im Film. Ich schaute mir daraufhin den Flakon etwas gründlicher an, soweit das ausgesperrt möglich war und tatsächlich bei genauem Hinsehen entdeckte ich das Opfer einer Duftorgie im gläsernen Pferd. Und dort wird diese tote Fliege vermutlich noch ewig für das von LB interpretierte Verlangen unerreichbar aufgebahrt liegen bleiben.
Im selben dort gezeigten Film sah ich bei einer Einstellung, die den großen Käfig zum Thema hatte, noch in einer Ecke eine vielleicht ca. 0,5m hohe Maman-Variante. Ist sie zwischenzeitlich abhanden gekommen? Wurde sie nachträglich von Madame noch zu Lebzeiten entfernt? Ich, einmal gesehen, vermisste das Tier nun im Gehege. Hat ja/hätte sehr gut in das arrangierte Konvolut von Passage dangereux gepasst, meine ich argusäugig.


Bild aus dem Film. Louise Bourgeois.


All diese Objekte wirken wohl sehr viel eindrucksvoller, wenn der Besucher einen Moment erwischt, in dem keine Schulklassen in Trauben versammelt den Hinweisgeber_innen an den Lippen hängen oder gut betuchte, kulturbeflissene Seniorentrupps den affektiert-gespreizten Bildbeschreibungen, die routinierte Museumsführer_innen aus sich herausschrauben, geduldig zu verstehen suchen.



Einführender Text im Foyer. Zum Lesen bitte anklicken.

Was kostet diese Hamburger-Kunsthallen-Reise in die Welt der Louise Bourgeois? Nun 12,- € sind kein Pappenstiel. Doch es gab den freundlichen Hinweis, man könne damit das ganze Haus in sich mit Eindrücken aufsaugen. Was sich allerdings als schier unlösbare Herausforderung herausstellt, wenn man die unermessliche Größe der Sammlung laufend und sehend erfassen möchte.







Dieser Versuchung kann man widerstehen, muß man aber nicht. Ein flotter abschließender Rundgang durch die meisten Räume der altehrwürdigen Kunsthalle endete mit einer Visite im Nachbargebäude (inklusive) 
„Müde Helden: Ferdinand Hodler Aleksandr Dejneka – Neo Rauch”  zusehen noch bis zum 13. Mai 2012. Freunde der Bildwelt eines Neo Rauch werden dort auf ihre Kosten kommen. Meine alte und gleichermaßen neue Entdeckung war dann jedoch dort eher A. Dejneka mit seiner Malerei. 


Detail aus einem Bild von Aleksandr Dejneka

Böse Zungen könnten diese thematische-didaktische Ausstellung gern auch „N.Rauch and friends“ nennen. Dominat genug wird seine Arbeit dort gezeigt.
Ich behaupte, die toten Seelen von A. Dejneka und F. Hodler hatten keine Chance mit einem eingreifenden Veto auf diese Ausstellung Einfluß zu nehmen. Vermutlich wäre die Ausstellung nicht zustande gekommen. Ein eindeutiger Vorteil für den Kollegen N. Rauch.

Auf dem Weg zum Nachbargebäude noch eine unerwartete Begegnung mit dem Werk des 2010 verstorbenen großen Meisters der Zeichnung Paul Wunderlich. Hier sah ich nach Jahrzehnten Abstinenz plötzlich eine gelungene Auswahl von Lithographien desselben und staunte noch einmal über den graphischen Reichtum seiner bizarren köstlichen Zeichenkunst! Eine zeitlose Delikatesse!

Sorry für die schlechte Fotoqualität. Ohne Blitz mit einer "alten" Digitalkammera geknipst, sollten es nur hinweisende Dokumente werden. 


Einen sehr guten Eindruck von Louise Bourgeois und ihrem Werk kann man bekommen, wenn man sich den von mir erwähnten dokumentarischen Film, in der Kunsthalle gezeigt und im Internet in 6 Teile getrennt, auf youtube hier anschaut. Hier bitteschön Nr.: 1/6. 

















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